waage-haus
in den boden geschnitten
ein viereck
in den scheiben der himmel
ein haus für die waage
das dach, die wände und das fenster
eine tür
steine am bein
vogelfedern in den händen
ich knote die kabel unter der erde
ich trage mein gewicht
auf die platte aus stein
ich öffne die tür
ich lese das maß und trage es ein
november 2014
die wohnung
kling, klang, schrille, sitzt ein mann im kellerloch,
bis zur brust in der erde
und schaut aus dem fenster auf dürers grasland.
die perspektive einer maus,
sternzeichen unserer begegnungen
im großstadtdreck und an schmierigen haltestellen.
-heile welt- rufen einsame tänzer - heile welt-
kappadokien und asphären und
das geweih eines widders.
kling, klang, schrille rufen die kinder
herüber aus ihren mülltütentipis
hinter dem zaun
und schleifen einen eisbären durch den dreck des schulhofs.
juli 2016
dein auge (für a.)
die verwandlung deines auges geschieht allmählich
der kopf auf dem kissen,
dein auge senkrecht zum horizont gestellt
eine feder, die der bussard im flug über dem feld verlor
ein bussardfedernauge
ein braun - das herbstlaub am elbufer
die farbe von rost - die haut alter schiffe
ein ägyptisches königsauge
ein sog im fluss – graugrün
ein polarauge über dem fjord
der spiegelglanz uralter gläser
und das pigment italienischer erde
es bleibt norden und süden in dir
als rätsel, kein widerspruch
august 2016
glückliche tage und andere stücke
der husten in zimmern,
das atmen der leiber im schlaf
es liegen männer und frauen
nebeneinander und die schräge des bodens
bestimmt den neigungswinkel des traumes
versteckt die hoffnung auf wiederkehr nicht
nur letztlich das wissen um die verpasste ankunft
wer wird der erste sein
über uns das schwere dach von st. johannis
wer wird der letzte sein
unter uns der lehmfeuchte grund eines flusses
passagen des freigangs, träume voll licht,
fachwerk alter gedanken, deren
stützbalken schwimmt
ruhelos harren wir
in unserem gewicht aus muskulatur und skelett
die kühe brauchen kein au pair
april 2016
keine haltbarkeit der formen
kein aberglaube
kein schicksal
keine fügung
kein heil
nur eine straße als eine sackgasse
an deren ende sich der tod ein schönes haus gebaut hat
mai 2017
heymgehen
holt dich der totenvogel
vom eis hinunter läuft
auf kreuzen wie du
auf messers schneide
keine bilderfahrt mehr leerer
waggons wolfs burg sog
kalter gedanken
abbrechender grat
vor dem loch niemandsloch
schwarzloch
endgültige heimat
regungsloses verschwimmen
heymgehen
untergehen
dezember 2017
man muss
man muss die tage abgehen
wie einen tatort
und einsammeln
was an spuren zu finden ist
das hellweiße gipslicht, die schattenuhr,
die lehmfrau
wir bewegen uns im sprühregen
auf landzungen und schlackengestein
und wohnen nicht unter einem dach
eine feuertreppe außen
hoher punkt nah dem kirchturm
ist der platz für ein versprechen
eine siedlung am deich
sucht das hohe ufer, keine
verluste und der hochzeitszug dreier generationen
zieht bald zum friedhof
nebenan
august 2017
ich höre lieber denen zu,
die schweigen.
oktober 2018
anderswo
die bäume sind ein gespiegelter scherenschnitt
im wasser eines flusses,
dessen namen ich nicht verraten kann,
weil ich mich sonst festlege auf einen ort,
den es so nur im gedächtnis anderer gibt.
der himmel hier in dieser stadt -
blassblau und leer wie altes schreibpapier.
man könnte ganze stundenbücher der beichte
mit ihm füllen,
wenn man den glauben hätte.
und dort an der wand schaut meine mutter
von einem plakat herunter, eine frau ohne kopf.
und ich erinnere mich,
dass ich früher auf ihrem arm saß,
während sie ins haushaltsbuch rote zahlen schrieb.
die wohnung haben wir nur eine nacht,
doch staube ich vor dem gehen den läufer aus.
der mann im souterrain schaut aus dem fenster
schon ganz grau vom dreck, der von oben kommt,
wie der kalte regen und der kot von tauben.
oktober 2018
der rote mond
nachts ruft ein
roter mond
und der mars war uns nahe wie nie
tags sitze ich
bis zum hals im wasser
die paar wolken sind dunkler
im spiegel des sees
und laufen als ein band
von kuriosen krüppeln
über das blau des himmels
august 2018
die platanen häuten sich
in der mitte des sommers
auf die straße fallen reste alter rinde
um zertreten zu braunem feinen staub
in die ecken der häuser zu wehen
juli 2018
wer spricht
wer spricht mir den text ins ohr
wenn ich nicht mehr weiter weiß
wer richtet die sätze zu fallschnüren
über die mein schweigen fällt
wer wird mir den mund öffnen
und mir die stumpfen zähne spitz feilen
wer wird mir die zunge verbrennen
mit grauem asphalt
wer wird mir zuhören
wenn ich würge am wort
wer wird mir seine stimme leihen
am ende der zeile
für den beginn eines tages
januar 2017
bremen
sonntag an der weser
weht am galgen ein hochzeitskranz
und eine ungeduldige braut
trägt ihre eierstöcke in den händen
wie ein gewächs aus schnee
das licht ist gelb
in der perspektive des platzes
säugt eine frau mit vier brüsten
die sonnenpuppe des vormittags
die satt und golden zwischen ihren beinen liegt
im fluss treibt in einer leeren flasche
ein mädchen vorbei
die leute stehen am kai
als wäre etwas passiert
sie fühlen sich zu haus in der vergangenheit
ratlos sind sie wie ihre vorfahren
aus stanniol gestanzt
und hängen sich gegenseitig auf
an ihrem lieblingsbaum
februar 2019
im winter
immer im winter
kommen die männer im kahn
und schneiden die bäume
und laden das schiff voll mit ästen
und fahren davon
das ufer ist kahl und aufgeräumt
das auge geht weit
und ohne verluste
in den offenen raum zwischen den dingen
januar 2019
der zug
in zwei stationen sind wir anwesend
sagt ein kind
steht auf der sitzbank
und schaut
-in zwei stationen-
draußen zieht die provinz am fenster vorbei
ein werbeprospekt gut gelüfteter eigenheime
mit bambi im einwegglas hinter dem zaun
und die bäume sitzen als schiefgestickter spitzensaum
auf einem horizont
der nach hinten abfällt
einmal am tag durchgehend von mainz nach kibo
sagt die schaffnerin
die heut nicht kontrolliert
sondern lieber bei drei männern steht
die ein loch
in den nachmittag quatschen
und sonst nicht wissen
warum sie auf der welt sind
märz 2019
athen
der himmel über all den häusern
hängt voll zersägter knochen
mit denen der wind die trommel schlägt
der nachmittag bricht ab in unscharfen rändern
überbelichtet verlaufen silhouetten
zu farbigen klecksen
ein rorschachtest der hohen sonne
athen ist ein ungewaschenes altgeborenes kind
das zwischen ruinen
nach lauten möwen steine wirft
hier im krisengebiet des attischen beckens
verkaufen alle alles
auch das letzte hemd
oder einen segen und den kopf des osterlammes
der auf der theke im zentralmarkt sein blut verliert
und die bettler halten auch im schlaf
den becher in der hand
und träumen am karfreitag
von der nächsten auferstehung
april 2019
und so
und so sitzen wir alle jahre
zusammen an einem tisch
der immer weiter einsinkt
in die chronik vergangener tage
und die schnitte in den gesichtern werden tiefer
und die bleiche der zeit löst die farbe unserer kleider auf
und dem silber am finger fehlt politur
mit sätzen versuchen wir
eine verschlossene tür zu bewegen
doch sehen wir nur die offenen münder der anderen
wenn der takt der flugzeuge unsere worte verschluckt
man hofft auf ein grenzgehen
und dass die räume sich immer noch weiten
die kinder sind groß
das haus nebenan leer
august 2019
morgen
die müde dämmerung
frisst das kalte licht der lampe
wir sitzen an die wand gelehnt
man hält sich die hand
man blättert und sucht zeilen
die diesen morgen beschreiben
als wäre er schon da gewesen
in den büchern wohnen fremde freunde
die weinen und erzählen das ende
die lachen und träumen von gegenwart
und wir sprechen ihre worte nach innen
in die höhle unseres körpers
warten auf den ton des echolots
das den grund für eine resonanz absucht
und in die eigene tiefe misst
die müde dämmerung
frisst das kalte licht der lampe
november 2019
immer (für e.)
immer sah er sie
an seiner seite
und sah sie an
von der seite
über die jahre hinweg
und sah eine veränderung
die ihm gefiel
juli 2020
für miriam cahn
antischleier
kante/grat
körper sein/vor allen dingen körper sein
gefäß für tränen sein
gefäß für blut sein
gefäß für sperma sein
faust sein gegen kind/gegen brust/gegen frau/gegen mann
gegenmann sein/gegenteil sein/gegenstück sein
ungesegnet sein
passstück sein
vagina sein/röhre sein
schwanz sein/schlagstock sein
zeigefinger sein/zeigefuß sein/zeigearm sein
zeiger sein/zeigerzähler sein/geigerzähler sein
klumpen sein/masse sein/ohne wurzel sein
wurzel ohne wurzel sein
september 2020
gewicht
zwei tragen eine zeichnung
wie eine last
tragen zwei
knoten die arme und beine
stricke die hände
dem mangel zum trotz
eine zeichnung wie eine last
oktober 2020
zwei
zwei stiefel am bett
der schwester die tot liegt
der vater raucht zwei zigaretten gleichzeitig
ich spiele mit den eingetrockneten pinseln
als wäre nichts passiert
und dann wasche ich ihre zwei füße
die schon kalt und sauber sind
rufe nach der mutter
zwei zimmer weiter
die wieder nicht kommt
november 2020
geht nicht
nur seitenwände
hoch
zum abrutschen
nichts fest
pfeifen und schleifen
ohren zu halten
die augen wollen weinen
vor den anderen
geht nicht
mai 2021
draußen
eine armee von tannen
schwer und schwarz und ohne freude
macht sich breit
zwischen den gotisch langen stämmen der erlen
aber hinter dem deich
liegt die weite des flusses
und der wind hat den platz
den er braucht
um das rufen vom anderen ufer
hinüberzutragen an unser ohr
mai 2021
am gleis
da läuft einer
knapp am gleis
durch den bahnhof
eine silhouette aus vergangenheit
mit hut und einstecktuch
ein stock in der linken
schlägt den schritt auf den stein
und in der hand
der koffer ist leicht
mull und pflaster
halten tränen und trauer
festgeklebt unterm lidrand
er weicht nicht aus
er wartet
bis man platz macht
um am hinteren ausgang
abwärts zu verschwinden
august 2021
mutter ohne kind
und so soll das fehlende
gesicht meiner mutter
einer mutter ohne kopf
nicht ersetzt werden
durch ein durchschnittsgesicht
das sich als meine mutter ausgab
sich ausgab mit einer geschichte
und einer eigenen
hundertjährigen mutter
die sie mir auftischte via sms
wie eine vorsuppe zum familienfest
soll ich dich wirklich mutter nennen
du mutterrabe milchmutter
mutter der abwesenheit
acker ohne krume
nicht mutter nenne ich dich
zielscheibe nenne ich dich
und schatten und dämmerung
jetzt laufe ich weg
melde mich nicht mehr
ich bin nicht vorhanden
bin dein sohn nicht
wie du meine mutter nicht warst
nur auf der urkunde
stehen unsere namen beieinander
september 2021
wir
wir sitzen schwarz in den gängen
und hören das blaue knistern
der schalter bevor das licht angeht
türen schlagen zu
keiner kommt
september 2021
im cafe
ein hund mit doppelkinn
ein kreuzworträtsel
und unechtes haar
die flügeltür schlägt
den letzten im gedränge
wieder raus in den regen
überall regen
auf den azoren
und in frankreich
da kann ich auch gleich hierbleiben
schreit die frau am nebentisch
in das hörgerät ihres mannes
oktober 2021
die disteln
die disteln wachsen ins haus
nicht aus dem fenster
kann man schauen
ohne sich das gesicht zu zerkratzen
februar 2022
der wind
der wind teilt sich
und jagt nacheinander
am fenster vorbei
man sitzt fest
auf einem wackligen stuhl
und schaut hinterher
februar 2022
waage-haus II (für erik)
die tür ist offen
ich betrete das haus
ein haus für die waage
drinnen kalt
der schritt hinein kalt
zertretenes glas laut
die schuhsohle ein knirschen
noch weiß ich nichts
vom tod in berlin
noch bin ich freigesprochen
vom eigenen gewissen
ich setze mich an den schreibtisch
ich lese das maß
und trage es ein
das gewicht der einsamkeit
wird oft unterschätzt
märz 2022
auf den dächern (saloniki)
es gibt eine stadt auf den dächern
blechhütten und anbauten
kümmerliche triebe wachsen
aus den unteren geschossen
hier leben die
die beletage nicht zahlen können
es ist heiß so nah unter dem himmel
aber der blick geht weit
und man schaut herab
auf die anderen
die vor staubigen ladengittern liegen
und ihre wunden zeigen
mit offenen beinen und zwei kindern im arm
die hände gestreckt
vor den bunten hosen der touristen
es gibt eine stadt auf den dächern
da wohnen die einsamen
mit ihren katzen
ihre hütten sind versteckt
hinter den leinen und der wäsche für morgen
der wind macht kopfstand
mit den hosenbeinen
wolken verirren sich in kleine zimmer
mai 2022
abstellkammer
wenn dieses bild
eine abstellkammer ist
für einen toten freund
wer trägt ihn dann ab und an
hinaus in die sonne
wer bürstet den staub aus den stockfleckigen hosen
wer balsamiert nach
wenn die erinnerung an sein gesicht erlischt
wer spricht ein gebet für ihn
wer liest ihm etwas vor zur nacht
wer will mit einem toten frühstücken
wer geht spazieren mit ihm
und besucht die bilder
wer nimmt seine kinder an die hand
wer tröstet die frau
wer löst das gefängnishaus auf
nicht ohne ihn
nicht mit ihm
gehe ich weiter
wenn dieses bild
eine abstellkammer ist
für einen toten freund
wer trägt ihn dann ab und an
hinaus in die sonne
oktober 2022
der dreck
der dreck auf dem boden
der geruch von metall
das gewicht und der haken
das schwarze licht der lampe
fällt auf das weiße tuch
der tisch steht schief
sagst du
aus der ferne
beine knieend beichten wir
zum abend in einer ecke
dezember 2022
nicht hören
der alte vater hört nur auf
das laute wort
man kann neben ihm sitzen
unverstanden sprechen
wie man neben leuten fremder sprache spricht
januar 2023
landschaft
der halbtrockene pinsel
setzt mit verlöschender tusche
das licht frei
zwischen ufer und klippe
ein gläserner tag
mit dem westwind wandern
die dünen
und das dorf ist auf der flucht
schatten erzählen den gegenstand
und öffnen die wand
in die landschaft
der feuchte dreck wird silber
mai 2023
insel
der damm hat halt
die insel ist gebrochen
das watt geteilt
durch die geometrie der buhnen
lichtspuren diagonal gestreut
über das wasser
mai 2023
schleusenprinzip
wasser rein
tor auf
reinfahren
tor zu
wasser raus
tor auf
rausfahren
tor zu
juli 2023
lichtweiß
ein vorhang von
wasser
wasser
vor dem fenster
lichtweiß
zucken blitze
zwischen häuser
rauschen bringt abstand
donner grollen bringt nähe
ein rinnen
zerrinnen
ohne passanten
juli 2023
heute
traumlose zukunft
sklerosierung von geweben
und der letzten wünsche
muskeltonus, reihung und gewand
ich trage meine zersplitterten einzelteile
in einem zugenähten körpersack
durch den hochsommer
aus lärm und kontrolliertem inferno
fieberträume
weltgewitter, lähmung, weicher asphalt
vitalfunktionen tragen mich über die nächste kreuzung
hirnfunktionen über den nächsten satz
ich suche mein kissen aus stein
und kann es nicht finden
juli 2023
mensch ärgere dich nicht
warten und würfeln
für den eintritt
in die gesellschaft
rausgeworfen werden
und wieder warten
um mit glück
nach dem anfang
am ende
untergekommen zu sein
in einer sackgasse
november 2023
der tod
dass man ihm
milz und die halbe lunge wegschoss
auf der flucht
hätte ihn bekehrt
- dieses komische wallraffdouble
hat also zwei menschen umgebracht
der tod ist ihm ins gesicht geschrieben
aber schuld wäre der große bruder
und das falsche gesetz
hilfe bekommen die auffälligen
sie leben in grünen parks
und bereuen
angesichts der mageren rente
das hantieren mit waffen
märz 2024
die zeit (castle santélmo)
die uhr hoch über dem meer
schneidet die zeit
in immergleiche stücke
die mit dem vorrücken des zeigers
so gleich turmabwärts ins vergangene fallen
die langen schatten
werden im süden geboren
sie schneiden die welt entzwei
und bezeugen zugleich
die wirklichkeit der dinge
ewig ist der platz unter der uhr
mit brunnen und bank
hoch über dem meer
was wechselt
sind die statisten
mai 2024